Irmgard Maria Burtscher
Stationen und Ansichten
Der Kindergarten hat mich schon als Kind fasziniert. Seit ich selbst Kindergartenkind war (in Bludenz, von 1960 bis 1963) hatte ich jedenfalls den Berufswunsch, Kindergartenpädagogin zu werden und so kam es dann auch. Ich absolvierte zuerst die Ausbildung zur Kindergartenpädagogin im Institut St. Josef in Feldkirch (Abschluss 1975; anschließend Praxisjahre in einem Stadt- und Übungskindergarten in Bludenz und Feldkirch), dann die Ausbildung zur Sonderkindergartenpädagogin (mit Schwerpunkt "Verhaltensauffällige Kinder"; die Zuschreibung von Kindern als "Verhaltensauffällig" oder gar "Verhaltensgestört" wurde seit dieser Zeit für mich zum Reizwort für Ignoranz und Anmaßung von Erwachsenen Kindern gegenüber) in Klagenfurt (Abschluss 1980; anschließend Praxisjahre in einem heilpädagogischen Kindergarten in Innsbruck).

In den Jahren 1982 und 1983 kamen meine Kinder in Innsbruck auf die Welt. Das war der Beginn des erkenntnisreichen und das ganze bisherige Leben verändernden Langzeitprojekts "Bewusste Elternschaft" (und seit 2010 "Bewusste Großelternschaft"). Im Jahr 1983 begann ich das Studium der Erziehungswissenschaft, Philosophie (wer Vorlesungen bei Prof. W. Röd besucht hat, weiss, wie gedankenbereichernd und lebensweisend Philosophie sein kann!), Politologie, Zeitgeschichte und Soziologie an der Universität Innsbruck.

Als es uns dann als Familie von 1986 bis 1988 nach Kalifornien verschlug, recherchierte ich vor Ort zu Themen der Vorschulpädagogik in den USA: über das Projekt „Head-Start“; über frühe "Akademisierung" von Kleinkindern; Geschichte und Politik der Preschoolpädagogik in den USA; die Berufsvereinigung NAEYC; über die Fünfjährigen und ihre "Kindergartenreife" (Fünfjährige, die eventuell nicht Kindergartenreif sein könnten - was für eine absurde Idee! Ich konnte es anfangs gar nicht glauben, dass dies überhaupt zur Diskussion stehen kann.) ... Ich besuchte Collegekurse zum Thema Frühpädagogik an der Universität Stanford in Palo Alto (abgehalten vom Pacific Oaks College; lernte dabei wunderbare, auf hohem Niveau reflektierende, Praxisfrauen kennen!), arbeitete in einer Parents Nursery School und in Kindergartenklassen.

Die zwei Jahre in Kalifornien waren für mich eine Zeit in der ich viele Impulse und Denkanstöße für meine weitere Arbeit erhielt. Zurück in Europa beendete ich von Bayern aus mein Studium an der Universität Innsbruck. Meine Diplomarbeit trägt den Titel: "Vom Familienkleinkind zum Kindergartengruppenkind. Eine frauliche Spurensuche“ - ein Thema, das mich seither nicht mehr loslässt, so fundamental und persönlich ist diese Frage des Übergangs eines Kindes von der Familie in eine öffentliche Kinderbetreuung für mich geblieben. Eine "frauliche Spurensuche" deshalb, weil ein - aus meiner Sicht - weiblicher Blick auf dieses Thema bis heute sträflich vernachlässigt wird und wurde (was aktuell auch am brisanten Thema "Krippeneintritt" und allgemein "Krippenbetreuung" als selbstverständlich werdendes gesellschaftliches Phänomen einmal mehr deutlich wird!).

Es folgten Buchveröffentlichungen, Fortbildungstätigkeiten, Forschungsprojekte, Beteiligung an Bildungsinitiativen, die Dissertation zum Thema „Der Kindergarten - ein Ort zeitgemäßer Bildung?! Ein Beitrag zur Professionalisierung von KindergartenpädagogInnen“ (2002). Ich hatte das Glück, in Frau Prof. Ilsedore Wieser eine zutiefst menschliche und fachlich versierte Diplom- und Doktormutter gefunden zu haben. In der Dissertation entwickelte ich die umfangreichen Recherchen und Interviews aus dem Projekt: "Weltwissen der Siebenjährigen" (Donata Elschenbroich, 2001), an dem ich mitarbeitete, zu einem Fortbildungskonzept für Frühpädagogen weiter.

Und was treibt mich heute an? "Der Kindergarten - ein Ort zeitgemäßer Bildung?!", elementare, individuelle Bildungsprozesse; elementares Welt-entdecken fern ab von einer verschulten bzw. verniedlichenden Fachdidaktik oder "Science light Shows"; (akademische) Professionalisierung von Frühpädagogen (die Wissenschaft und Forschung in frühpädagogischen Praxisfeldern steht meines Erachtens im deutschsprachigen Raum erst am Anfang. Dieser Anfang ist für mich nicht nur verheißungsvoll.), Entwicklung eines Berufsethos, die außerfamiliäre Betreuung der Kinder unter drei Jahren ..., sind Themen, die mich in meinen Fortbildungen, Forschungsprojekten und Publikationen beschäftigen.

„Welt entdecken“ wird heute gerne - schon im Kindergarten - als „Naturwissenschaft, Mathematik und Technik“ bezeichnet. Doch das greift im Elementarbereich viel zu kurz. Mit Kindern die „Welt entdecken“ hat zunächst - und immer wieder - damit zu tun, die Augen zu öffnen, zu staunen, inne zu halten, sich mit seinem ganzen Wesen auf die sinnlich erfahrbare, persönlich bedeutsame Welt einzulassen - jedes Kind auf seine individuelle Art und Weise - um dann mit Methoden des elementaren Forschens und Tüftelns gemeinsam mit anderen Kindern und begleitenden Erwachsenen noch genauer hinzuschauen, Fragen zu entwickeln, Schlüsse zu ziehen und gestaltend und kreativ tätig zu werden.

Zur Zeit ist in der Frühpädagogik und interessierten Öffentlichkeit ja viel von Bildung der 0- bis 6-Jährigen in Kindertageseinrichtungen (die Nulljährigen in Kitas bilden?, wer hat sich diesen Unsinn eigentlich ausgedacht?) und Professionalisierung der Frühpädagogen die Rede. Das sehe ich mit gemischten Gefühlen. Wir Frühpädagogen haben uns bisher kaum aus eigenem Antrieb mit diesen Themen auseinandersetzen können. Vieles wird von Außen an uns herangetragen. Gediegene Veränderungen im Praxisfeld müssen aber mit wohlwollendem und wissenden Blick auf Kinder und ihre Bedürfnisse wachsen und von der Berufsgruppe mitgetragen werden. Die "Bildungs-Prioritäten" haben sich in den letzten Jahren gewaltig verändert. Wer spricht heute beispielsweise noch von "Spielpflege" als eine wichtige Aufgabe des Kindergartens? Stattdessen halten Förderprogramme von zweifelhaftem Wert Einzug in die Kindergärten. Diese haben meines Erachtens nichts mit gediegener elementarer Bildung zu tun und wirken kontraproduktiv auf die Professionalisierung von uns Frühpädagogen. Trotzdem sprießen sie überall, weil wir als Berufsgruppe kaum gelernt haben, fundiert Stellung zu beziehen, Alternativen aufzuzeigen und Interessen und Bedürfnisse der uns anvertrauten Kinder zu vertreten.

Wir Frühpädagogen müssen uns abgrenzen lernen und sollten nicht jede gesellschaftliche Modeströmung mittragen. Wir sollten "Nein" sagen zu Entwicklungen, die unsere Kinder beispielsweise immer mehr zu außengesteuerten, menschlich vernachlässigten "Lernmaschinen" machen und uns Frühpädagogen zu "Ausführungsorganen" fein abgepackter "Förderhäppchen" ohne Sinn und Bedeutung für das einzelne Kind und uns Pädagogen. Frühpädagogik, so wie ich sie verstehe, hat damit rein gar nichts zu tun. Pädagogik ist die Kunst der individuellen Begleitung von Kindern auf ihrem Weg zu einem selbstbestimmten, erfüllten Leben in sozialer Verantwortung! In diesem Prozess der Begleitung steckt enormes Entwicklungspotential - für Kinder und Erwachsene. Dafür stehe ich und setzte mich weiter ein. Ich freue mich über jede Art von Diskussion zu meinen "Positionen".

webmaster@irmgard-burtscher.de last update: 2012-08-05